Text: Markus Loher
Bild: Adobe Stock
Datum: 01.07.2024
Es ist wieder so weit: Sommerferien!
Badesachen, Kanu, Klettergstältli, Velo packen und raus in die Natur, raus ins Abenteuer. Aber aufgepasst. Bestimmte Freizeitaktivitäten bergen ein derart hohes Risiko in sich, dass sich dieses nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren lässt. Kommt es dabei zu einem Unfall, sollen nach Auffassung des Gesetzgebers die Kosten nicht in vollem Umfang der Versichertengemeinschaft aufgebürdet werden.
Man spricht von einem absoluten Wagnis, wenn eine Handlung mit Gefahren verbunden ist, die unabhängig von den konkreten Verhältnissen nicht auf ein vernünftiges Mass herabgesetzt werden können oder, wenn es am schützenswerten Charakter einer mit besonders grossen Gefahren verbundenen Handlung mangelt resp. eine entsprechende Handlung unsinnig oder verwerflich erscheint. Dabei spielt es keine Rolle, ob man sämtliche Sicherungsvorkehrungen eingehalten hat.
Wer eine solche Handlung vornimmt und sich dabei verletzt, muss zwingend mit Kürzungen der Geldleistungen um 50 Prozent rechnen; in schweren Fällen droht der Ausschluss der Leistungen. Nicht gekürzt werden können die Heilungskosten.
Als Wagnis gelten Extremsportarten, wie z.B. Base-Jumping, Speedflying oder Tauchen in einer Tiefe von mehr als ca. 40 Metern, sowie Sportarten, die wettbewerbsmässig betrieben werden wie z.B. Motocross- oder Motorbootrennen. Als absolutes Wagnis gelten auch Fullcontact-Sportarten wie Boxen oder Thaiboxen.
Es muss sich aber nicht unbedingt um eine bestimmte Sportart handeln; ein absolutes Wagnis kann auch eine einzelne, besonders risikobehaftete Handlung sein. Das Bundesgericht qualifizierte z.B. den Kopfsprung ins unbekannte Wasser als absolutes Wagnis, da das Verletzungsrisiko nach dem Absprung nur noch vom Zufall abhängt, mithin davon, ob das Wasser tief genug ist (BGer, 4.12.2012, 8C_274/2012). Beim Kopfsprung ins kühle Nass ist deshalb besondere Vorsicht geboten. Andernfalls drohen erhebliche Leistungskürzungen oder gar ein Leistungsausschluss.
Auch das immer beliebtere Dirt-Biken (Velofahren auf Anlagen zum Springen) qualifizierte das Bundesgericht als absolutes Wagnis (BGE 141 V 37). Das Bundesgericht betonte, dass das Risiko sich nur begrenzen lasse, wenn die Hindernisse und Schanzen eine minimale Höhe nicht überschreiten würden. Es hängt somit von der Ausgestaltung des Bikeparks ab, ob ein absolutes Wagnis vorliegt oder nicht. Auch der Hobby-Biker ist vor Leistungskürzungen deshalb nicht gefeit.
Reisen in Länder, für welche das eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten eine Reisewarnung ausgesprochen hat, können ebenfalls ein absolutes Wagnis darstellen. In einem Fall wurde ein Reisender in Pakistan von den Taliban in Geiselhaft genommen. Das Bundesgericht betonte die unkontrollierbare Lage in Pakistan in Bezug auf Entführungen und politisch-religiös motivierte Gewalttaten und verneinte einen Leistungsanspruch zufolge eines absoluten Wagnisses (BGE 141 V 216).
Im Gegensatz zum absoluten steht das relative Wagnis. Bei einem relativen Wagnis lassen sich die mit der Handlung zusammenhängenden Gefahren auf ein vernünftiges Mass reduzieren. Dabei ist relevant, ob die persönlichen Fähigkeiten, Eigenschaften und Vorkehren erfüllt sind, um das der Tätigkeit innewohnende Risiko auf ein vertretbares Risiko herabzusetzen. Bei den relativen Wagnissen wird im Einzelfall geprüft, ob die verunfallte Person alles unternahm, um das Risiko auf ein vernünftiges Mass zu reduzieren. Falls dies nicht der Fall ist, ist wiederum zwingend mit einer Kürzung der Geldleistungen um 50 Prozent oder einem gänzlichen Ausschluss zu rechnen.
Als relative Wagnisse sind Sport- und Freizeitaktivitäten des Breitensports aufzufassen, welchen ein erhöhtes Verletzungsrisiko innewohnt. Darunter fallen zum Beispiel Bergsportarten wie Bergsteigen oder Alpinklettern (BGE 97 V 72), Schneeschuhlaufen (BGer, 21.2.2013, 8C_987/2012) oder das Canyoning (BGE 125 V 312). Hier kommt es auf die Planung, die Art der Durchführung, die mitgeführte Ausrüstung, das Know-how der Teilnehmenden und die äusseren Bedingungen, z.B. das Wetter, an. Ob ein relatives Wagnis vorliegt, hängt deshalb vom Einzelfall ab. Wer als unerfahrener Berggänger in Sandalen auf dem Matterhorn stürzt, muss sich Leistungskürzungen oder einen Ausschluss entgegenhalten lassen; der gut ausgerüstete Bergsteiger, der von einem nicht vorhersehbaren Wetterumschwung überrascht wird, hingegen nicht. Relative Wagnisse sind auch Tauchgänge oder Höhlentauchen, das Deltasegeln oder das nicht-wettbewerbsmässige Kart-Fahren – wer kennt sie nicht, die Kart-Fahrbahn in der Magadinoebene im Tessin. Weitere Aktivitäten, die als relatives Wagnis aufgefasst werden:
Das nicht wettbewerbsmässige und nicht auf Zeit ausgelegte Downhill-Biken, zumindest auf blauer Piste, qualifizierte das Bundesgericht bisher weder als absolutes noch als relatives Wagnis (BGer, 6.10.2020, 8C_715/2019).
Bei den absoluten und relativen Wagnissen kommt es nicht auf das Verschulden der verunfallten Person an. Es spielt deshalb keine Rolle, ob die verunfallte Person fahrlässig handelte. Ausschlaggebend ist einzig die Ausübung einer gefahrbelasteten Tätigkeit. Die Unfallversicherung kann die Leistungen bei Nichtberufsunfällen aber auch bei grobfahrlässiger Verursachung kürzen. Wer also eine Handlung vornimmt, die kein Wagnis darstellt, dabei aber grobfahrlässig handelt, muss trotzdem mit Leistungskürzungen rechnen. In diesen Fällen kommt es allerdings nur zu Kürzungen des Taggeldes während der ersten zwei Jahre nach dem Unfall. Danach muss die Versicherung wieder die vollen Leistungen erbringen.
Grobfahrlässig handelt, wer elementare Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte, um eine nach dem natürlichen Lauf der Dinge vorhersehbare Schädigung zu vermeiden. Das Verhalten muss Unverständnis, Kopfschütteln und Tadel auslösen, eine moralische Verurteilung nach sich ziehen und die Grenze des Tolerierbaren überschreiten.
Grobfahrlässigkeit nahm das Bundesgericht in einem Fall an, in welchem die verunfallte Person aus 3 Metern Höhe in einen 8° C kalten Fluss sprang, vom Fluss mitgerissen wurde und erhebliche Verletzungen erlitt (BGer, 13.4.2015, 8C_873/2014). Als grobfahrlässig qualifizierte das Bundesgericht auch das ungesicherte Sitzen auf dem Bug eines Motorbootes (EVG, 6.5.2002, U 195/01). Also aufgepasst bei der Spritzfahrt über den Lago Maggiore.
Wir wünschen allen eine entspannte und vor allem sichere Ferienzeit!
Text: Markus Loher
Bild: Adobe Stock
Datum: 01.07.2024
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